Reisebericht

Wrocław / Breslau - Wissenschaft, Kultur und Ökumene im deutsch-polnischen Austausch

Motto der Studienreise 2022 war eine Aussage Dietrich Bonhoeffers:

„Die Ehrfurcht vor der Vergangenheit und die Verantwortung gegenüber der Zukunft geben fürs Leben die richtige Haltung.“

Die Fahrt wurde in Kooperation mit der Karl Dedecius Stiftung, der Universität Wrocław, der Arbeitsstelle Bildung und Ehrenamt des Evangelischen Kirchenkreises Oderland-Spree sowie der Stiftung Edueko organisiert. Sie wurde vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg als Bildungsurlaub anerkannt.

Der thematischen Hinführung auf die Reise diente am 30. August 2022 ein Grenzgespräch mit Roswitha Schieb, Autorin zahlreicher kulturhistorischer Publikationen über Schlesien und Preisträgerin des Kulturpreises Schlesien des Landes Niedersachsen. Sie stellte uns die neue Ausgabe ihres „Literarischen Reiseführers Breslau“ vor. Dabei erinnerte sie an aus Breslau stammende Persönlichkeiten, darunter Dietrich Bonhoeffer, Joseph Freiherr von Eichendorff, Andreas Gryphius, Gerhart Hauptmann, Marek Krajewski, Nadia Szagdaj, Tadeusz Różewicz, Urszula Kozioł und die polnische Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk.

Die Reise selbst fand vom 14.-18. September 2022 statt. Wie alle OeC-Studienreise war es keine gewöhnliche touristische Reise nach Breslau, sondern ein Angebot zu deutsch-polnischem Austausch mit zahlreichen Möglichkeiten zum Dialog mit in Breslau lebenden Vertretern aus Wissenschaft, Literatur, Kultur und Ökumene.

Dank der Zusammenarbeit mit dem Institut für Germanistik der Universität Wrocław wurden die Reisenden während des gesamten Aufenthalts von Wissenschaftlern, Doktoranden und Studierenden begleitet – so konnten sie einen Einblick in die Ausbildung angehender Germanisten und in die Forschungsfelder der Breslauer Wissenschaftler gewinnen (besonderer Dank gilt Karolina Kazik und Dr. Magdalena Maziarz). In den Räumlichkeiten der Germanistik (früher u. a. Franziskaner-Kloster) wurde die Gruppe vom Direktor des Instituts für Germanistik Prof. Tomasz Małyszek und der Dekanin Prof. Anna Małgorzewicz begrüßt. Zur Einführung in das Thema der Studienreise hielt Dr. Jan Pachoski einen lebhaften Vortrag zur Geschichte der Universität Breslau. Er sprach von den Verflechtungen mit der Geschichte der Viadrina sowie von Breslauer (deutschen und polnischen) Schriftstellern und Gelehrten. Dann führte der Weg in das Oratorium Marianum, die berühmte Aula Leopoldina und schließlich zur Aussichtsterrasse der Universität. Nach einer Mittagspause folgte eine Führung durch die Altstadt, sie begann mit der Besichtigung der Dominsel mit der St. Johannes-Kathedrale, deren Baubeginn auf das 13. Jahrhundert zurückgeht, führte an der Universität vorbei und endete auf dem Breslauer Ring. 

Inhaltsreich war auch Tag zwei der Reise. Er begann mit einem Besuch der Synagoge zum Weißen Storch und des Zentrums für jüdische Kultur und Bildung. Jerzy Kichler gab den Reiseteilnehmern als Vertreter der jüdischen Gemeinde einen Einblick in die Geschichte der Gemeinde und der Synagoge, er sprach von ihrer gegenwärtigen Bedeutung für die Gemeinde und auch für die Stadt.    

Nach dieser Einführung in das jüdische Leben und der Führung durch die Synagoge gab es in der angrenzenden, restaurierten Mikwe eine Podiumsdiskussion mit anschließender Fragerunde zum Thema interreligiöser Dialog. Auf dem Podium hatten Vertreter der jüdischen, katholischen und lutherischen Gemeinde in Wrocław Platz genommen, unter ihnen Dr. Janusz Witt, Gründer der polnischen Sektion der Bonhoeffer-Gesellschaft mit großen Verdiensten um den ökumenischen Dialog. Es kamen Errungenschaften, aber auch Probleme der interreligiösen Zusammenarbeit in Breslau zur Sprache.

Von der Synagoge ging es wieder ins Institut für Germanistik, wo zwei deutsch-polnische Großprojekte vorgestellt wurden: das Willy-Brandt-Zentrum (seine Geschichte, Programm, realisierte Projekte / vorgestellt von Dr. habil. Andrzej Dębski) und die Deutsch-Polnische Gesellschaft der Universität Wroclaw, an diesem Tag vertreten durch Prof. Edward Białek und Dr. Joanna Banachowicz. Der Nachmittag war der Geschichte des Breslauer Theaters gewidmet. Im Kammersaal des Polnischen Theaters sprach die Germanistin Dr. Aleksandra Nadkierniczna-Stasik zum Thema „Breslauer Theater bis 1945“. Die Aktivitäten und die Geschichte des Theaters in der Nachkriegszeit stellte Juliusz Lichwa vor. Höhepunkt war die Besichtigung der großen Bühne des Theaters mit einem Auftritt des Schauspielers Bartosz Puława, der uns das Bühnenbild zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ samt allen Besonderheiten erläuterte. Dank an Frau Elżbieta Małecka für die sorgfältige Planung der Veranstaltung!

Der dritte Tag der Reise war zwar nicht mehr so akademisch, dennoch nicht weniger abwechslungsreich. Zu Beginn des Tages wurden die Gespräche zum Thema „Ökumene in Breslau“ fortgesetzt. In der lutherischen Kirche der Göttlichen Vorsehung (der ehemaligen Hofkirche) begrüßte die Gäste als Hausherr Pf. Marcin Orawski. Im Zentrum der anschließenden Gesprächsrunde stand insbesondere der evangelisch-katholische Dialog. Für Fragen standen neben Dr. Janusz Witt auch der lutherische Altbischof Ryszard Bogusz sowie der katholische Pfarrer und Hochschullehrer Prof. Bogdan Ferdek zur Verfügung.

Nach der Begegnung mit Vertretern christlicher Kirchen in Breslau galt die Aufmerksamkeit einem weiteren Schwerpunkt: dem Ossolineum, das ursprünglich als Forschungsinstitut in Lemberg gegründet und in der Nachkriegszeit infolge der Grenzverschiebung nach Breslau verlegt wurde. Das Ossolineum arbeitet bis heute mit seinen Partnern in der Ukraine zusammen. Dem Institut gehört auch das Pan-Tadeusz-Museum, in dem nicht nur die Handschriften des polnischen Romantikers Adam Mickiewicz aufbewahrt werden, sondern auch zwei Dauerausstellungen gezeigt werden. Die erste ist Władysław Bartoszewski und Jan Nowak Jeziorański (beide engagiert in der Opposition schon seit der Kriegszeit) und die zweite dem Breslauer Dichter Tadeusz Różewicz gewidmet.

Der Tag endete mit einer Schiffsfahrt auf der Oder mit Live-Musik (Gypsy-Jazz für Violine und Gitarre).

Auch der vierte Tag der Reise begann mit einem ökumenischen Dialog, und zwar im Edith-Stein-Haus. An diesem historischen Ort erfuhren die Reiseteilnehmer viel über die Biographie und das Leben von Edith Stein. Die Leitung des Hauses und auch Dr. Janusz Witt standen für Fragen zur Verfügung. Im Anschluss bestand die Möglichkeit, das Haus zu besichtigen.

Am Abend vor der Abreise waren die Reiseteilnehmer zu einem kulturellen Höhepunkt eingeladen – der polnischen Uraufführung der im Jahre 1600 von Emilio de’Cavalieri komponierten geistlichen Oper „Das Spiel von Seele und Leib / Rappresentatione di anima et di corpo“ im Nationalen Musikforum.

Am Rückreisetag gab es vormittags die Möglichkeit zum Besuch von Gottesdiensten in katholischen und evangelischen Kirchen der Stadt. Die Busfahrt zurück nach Frankfurt (Oder) begann mit einem Zwischenstopp auf dem alten jüdischen Friedhof an der ehemaligen Lohestraße (heute ul. Ślężna), der zugleich auch Museum der Friedhofskunst ist. Renata Bardzik-Miłosz zeigte der Reisegesellschaft die ältesten jüdischen Gräber aus dem 13 Jh. sowie das Grab der Mutter von Edith Stein. Diese Friedhofsführung rundete das reichhaltige Reiseprogramm ab.

Die erlebnisreiche Reise endete am 18. September abends um 20 Uhr auf dem Busparkplatz vor dem Collegium Polonicum.

Ilona Czechowska und Gero Lietz